Interview mit Max Dehning: „Disziplin ist mein Kompass“

Von Adrien Heller-Mouche

 

Max Dehning sitzt mir in unserem Teams-Meeting entspannt gegenüber, er lächelt und strahlt, wie immer, eine einladende Ruhe aus. Der 20-Jährige spricht besonnen, leise und wirkt dabei fast meditativ – eine Aura, die man bei einem Sportler seines Kalibers kaum erwartet. Dabei hat der Speerwerfer gerade erst eine der größten Herausforderungen seiner Karriere gemeistert: eine monatelange Zwangspause nach einer Fuß-OP. Doch statt mit Ungeduld oder Frust zu reagieren, spricht er von „neuen Phasen“ und „Chancen“. Wer ist dieser junge Mann, der mit einer Mischung aus Gelassenheit und eisernem Willen die deutsche Leichtathletik aufmischt? 

Ein Gespräch über frühe Entbehrungen, den Wert von Disziplin – und warum manchmal gerade die Stille der lauteste Erfolg ist. 

 
Max, du hast letztes Jahr eine notwendige Fuß-OP an dem so wichtigen Stemmbein durchgemacht. Wie geht es dir heute – körperlich, aber auch mental?

Körperlich bin ich auf einem guten Weg. Es gibt doch einige Veränderungen nach so einer OP, an die man sich gewöhnen muss, aber das Training und die großen Wettbewerbe vor Augen helfen sehr. Mental war’s ein Prozess. Nach der OP musste ich erstmal Vertrauen in meinen Körper zurückgewinnen. Jeder Wurf fühlte sich anfangs an, als würde ich auf dünnem Eis laufen. Aber ich habe gelernt, dass Rückschläge dazugehören. Die Pause hat mir sogar geholfen, mich auf andere Dinge zu fokussieren – wie meinen Grundwehrdienst bei der Bundeswehr. Das hat den Kopf frei gemacht. 
 
Du bist mit 17 für deinen Sport von zu Hause nach Leverkusen gezogen, zusammen mit deiner Schwester. Wie prägend war diese Zeit? 

Sehr. Meine Schwester war mein Anker. Wir haben uns gegenseitig durch die ersten Jahre im Leistungssport getragen. Klar, es war hart: Schule, Training, kaum Freizeit. Viele Gleichaltrige haben sich zurückgezogen, weil sie mein Leben, meinen Fokus nicht verstanden. Die Welt der Sportler wird aber eh oft missverstanden. Doch das hat mich abgehärtet. Heute weiß ich: Wenn ich etwas will, ziehe ich es durch – egal, was andere sagen. 
 
Du wechseltest mit frischen 20 von Leverkusen nach Offenburg – wieder ein komplett neues Umfeld. Wie gehst du damit um, immer wieder „neu anzufangen“? 


(lacht) Ich bin ein Gewohnheitstier, aber Veränderung ist mein zweiter Vorname. Mit 17 der Umzug, mit 20 der erneute Vereinswechsel … Jedes Mal bricht das Soziale weg. Aber der Sport gibt mir so viel zurück: Ich reise, lerne Menschen aus aller Welt kennen. Diese Erfahrungen formen mich mehr als jede Routine, stärken meine Disziplin. 
 
Du sprichst oft von Disziplin statt Motivation. Warum? 


Motivation ist wie ein Strohfeuer – sie verpufft, wenn’s mal nicht läuft. Disziplin ist mein Kompass. Als junger Sportler habe ich gelernt: Du stehst um sechs auf, egal, ob es regnet oder du müde bist. Diese Haltung hilft mir heute, selbst nach Rückschlägen wie der OP weiterzumachen. Talent bringt dich nur bis zur Startlinie. Der Rest ist Arbeit. 
 
In den letzten Jahren hast du bei den U20-Weltmeisterschaften 2022 und den U20-Europameisterschaften 2023 Silber geholt. Wie haben diese Erfolge deinen Weg beeinflusst? 


Diese Medaillen waren wichtige Wegmarken. Sie haben mir gezeigt: Ich kann mit den Besten mithalten – selbst auf internationaler Ebene. Gleichzeitig war es ein Reality-Check. Im Juniorensport zählt Talent noch stark, aber bei den Erwachsenen geht’s um Details, mentale Stärke und … ja, Disziplin (grinst). Die Silbermedaillen haben mich hungrig gemacht auf mehr. 
 
2024 war dann dein Durchbruch: Gold bei den Deutschen Meisterschaften mit 90,20 Metern – ein Wurf, der dich auf Platz 22 der ewigen Weltbestenliste katapultierte. Wie fühlt sich so ein Moment an? 

Als ob sich ein Puzzle zusammensetzt. Jahrelang arbeitest du im Stillen, und plötzlich passt alles: Technik, Kraft, Timing. Diese 90 Meter waren kein Zufall, sondern das Ergebnis von tausend kleinen Korrekturen. Aber das Ranking ist nur ein Zwischenziel. Mein Speer soll weiter fliegen – da gibt’s noch Luft nach oben. 
 
Du wirst mittlerweile schon als „Vorbild“ gesehen, vor allem vom Nachwuchs. Wie fühlt sich das an, wo du doch selbst noch so jung bist?

Ehrlich? Schon irgendwie anders, aber auch schön. Wenn jetzt Kinder zu mir sagen: „Max, ich werfe auch Speer!“, gibt mir das ein gutes Gefühl. Ich war mal in ihren Schuhen – das verbindet. Mein junges Alter ist dabei ein Vorteil: Ich verstehe ihre Wünsche, ihre Träume. Vielleicht kann ich ihnen zeigen, dass man nicht perfekt sein muss, um durchzuhalten. 
 
Du hast vorhin gesagt, die Welt der Sportler werde oft missverstanden. Was meinst du damit?

Die Zuschauer sehen nur die Wettkampf-Fassade: den Jubel, die Medaillen. Aber nicht die Nächte, in denen du mit Schmerzen wach liegst, die Familienfeiern, die du absagst oder die Zeit mit Freunden, die du nicht hast. Klar, ich liebe den Wettkampf, die internationale Bühne – aber es fordert viel. Trotzdem: Jede Entbehrung war es wert. Der Sport hat mir eine Welt geschenkt, die ich sonst nie gesehen hätte. 
 
Wie schaffst du es, trotz des Drucks so gelassen zu wirken?

(lächelt) Gelassenheit ist Training. Früher hat mich Kritik aus den Sozialen Medien vielleicht beschäftigt. Heute sehe ich sie als Feedback, nicht als Angriff. Misserfolge sind keine Niederlagen, sondern Wegweiser. Und wenn’s mal nicht so läuft, hilft mir die Bundeswehr-Fördergruppe: Die gibt mir finanziellen und mentalen Rückhalt, sodass ich mich auf meine Ziele und mein Können fokussieren kann. 
 
Dein Leben ist schon jetzt geprägt von sehr unterschiedlichen Erfahrungen – Höhenflüge, Verletzung, Umzüge. Was treibt dich an? 

Die Lust, Grenzen zu verschieben. Nicht nur im Speerwurf. Mit 20 habe ich schon mehr erlebt als viele mit 40. Das macht mich nicht stolz, sondern dankbar. Und ich habe den Wunsch meinen Namen neben den großen meines Sports zu sehen, neben Namen wie Johannes Vetter, Thomas Röhler oder Andreas Hofmann. Nicht aus Ego, sondern um zu zeigen: Auch ein norddeutscher Jung aus einer kleinen Stadt kann Großes erreichen – mit Disziplin und dem richtigen Team. 

 

Zwischen Stille und Erfolg

Als Max Dehning zum Abschied in die Kamera lächelt, bleibt ein Satz hängen, der ihn wohl am besten beschreibt: „Ich bin kein Talent, ich bin ein Arbeiter.“ Vielleicht ist das sein Geheimnis: keine Heldenpose, kein Pathos. Nur die stille Gewissheit, dass jeder Wurf – ob auf dem Feld oder im Leben – zuerst im Kopf gewonnen wird. Und wer weiß? Vielleicht sieht man ihn bald nicht nur als „neue Hoffnung“, sondern als den, der den deutschen Speerwurf wieder laut werden lässt. Leise, versteht sich.  

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